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11.00 Uhr Eröffnung/Begrüßung

Prof. Dr. Wolfgang Hirschmann (Abteilung Musikwissenschaft Halle), Jakob Uhlig (DVSM), Institutsgruppe der Musikwissenschaft der MLU, Prof. Dr. Christine Fuhrmann (Stadt Halle)

Keynote: Musik und Diktatur: Konturen eines Forschungsfelds

Prof. Dr. Friedrich Geiger (München)

Systematische Forschung zur Rolle von Musik in Diktaturen hat in der Musikwissenschaft spät begonnen, ist aber leider aktueller denn je. Denn Musik spielt in Diktaturen eine entscheidende Rolle. Wie keine andere Kunst appelliert sie an die Emotionen der Menschen, ohne Umwege über den Verstand, den totalitäre Regime gerne aushebeln. Musik kann, wie jeder weiß, überwältigen, und dieses Potential haben sich Herrscher zu allen Zeiten zunutze gemacht. In Diktaturen geschah dies meist planmäßig und in großem Maßstab. Dabei zeigt die Musikpolitik in fast allen Regimen gewisse Ähnlichkeiten. So gehört zu ihren Grundzügen, dass sie zwischen erwünschter Musik (Musik, die dem Regime nützt) und unerwünschter Musik (Musik, die dem Regime nicht nützt oder sogar schadet) unterscheidet und in zwei Richtungen agiert. Erwünschte Musik und ihre Komponisten werden stark gefördert, unerwünschte Musik und ihre Komponisten hingegen ausgegrenzt, unterdrückt oder auf Linie gebracht. Welche Musik erwünscht oder unerwünscht war, verhielt sich in jeder Diktatur anders. Gleichwohl lassen sich einige übergreifende Tendenzen benennen, weshalb vergleichenden Untersuchungen ein hoher Stellenwert zukommt. In dem Vortrag werden das Forschungsfeld insgesamt und seine Teilgebiete anhand einschlägiger Beispiele umrissen und methodische Fragen erörtert. Prof. Dr. Friedrich Geiger hat den Lehrstuhl für Historische Musikwissenschaft Hochschule für Musik und Theater München inne. Im Sommer 2020 wurde er zum Ordentlichen Mitglied der Academia Europaea gewählt. Die Arbeitsgebiete von Friedrich Geiger liegen in der Musikgeschichte vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart sowie in der Musik und Musikästhetik der griechisch-römischen Antike und ihrer Rezeption. Schwerpunkte bilden die vergleichende Forschung zur Musik in Diktaturen und im Exil, die Historiographie der populären Musik, die Geographie der Musikgeschichte und das musikalische Urteil.

Sektion I, 14.00 Uhr

„Wir dürfen niemals vergessen.“ – Aufarbeitung von Kriegsgeschehnissen in Luigi Nonos Intolleranza 1960 sowie Mieczysław Weinbergs Die Passagierin unter den Nachwirkungen des NS-Regimes und des Stalinismus

Stefanie Liang (Graz)

Zwei Komponisten, die – wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß – sowohl die Schrecken des NS-Regimes als auch der Diktatur Stalins erfahren mussten, waren Luigi Nono und Mieczysław Weinberg. Während Nono sich politisch für die Kommunistische Partei Italiens engagierte und stark gegen eine Negierung der Vergangenheit aussprach, musste Weinberg zwei Mal vor dem NS-Regime fliehen und verlor seine Familie in einem Konzentrationslager. Im Vortrag soll dargelegt werden, welche Nachwirkungen die diktatorischen Regime auf unterschiedliche Art und Weise in den 1960er Jahren auf die zwei Musiktheaterwerke "Intolleranza" 1960 und "Die Passagierin" hatten. Stefanie Liang ist seit Juli 2023 Universitätsassistentin am Institut für Musikwissenschaft der Universität Graz. Sie absolvierte den interuniversitären Masterstudiengang Musikwissenschaft in Graz und studierte gleichzeitig Instrumentalpädagogik und Künstlerisches Diplom im Fach Querflöte an der Gustav Mahler Privatuniversität in Klagenfurt. Neben ihren musikalischen Tätigkeiten hat sie bereits bei nationalen und internationalen Konferenzen wissenschaftliche Vorträge über Opernproduktionssysteme, das Musiktheater oder den Komponisten Gustav Mahler in Italien, Kroatien, Tschechien, England und Österreich gehalten.

Musikpublizistik und Zensur im frühen „Dritten Reich“: Hermann Zilcher und die Zeitschrift für Musik 1934

Christoph Schuller (München)    

Hermann Zilcher (1881–1948) ist ein typisches Beispiel für viele Musikschaffende in Nazi-Deutschland, die zwar nicht glühende Anhänger des Regimes waren, sich jedoch auch nie von ihm distanzierten. Solche „Zwischen-Persönlichkeiten“ und ihr Werk heute objektiv zu bewerten, ist eine notwendige doch keine leichte Aufgabe. Einen Beitrag hierzu leistet die Erforschung von Zilchers Publikationen in der Zeitschrift für Musik zwischen 1930 und 1934. Zum einen wird ersichtlich, wie diese zentrale Musikzeitschrift regimenahe Kulturpropaganda verbreitete. Andererseits habe ich das Manuskript seines Artikels „Zur deutschen Musikerziehung“ entdeckt, das im starken Widerspruch zur publizierten Fassung steht: Das Manuskript ist äußerst regime-kritisch – die Publikation äußerst regime-konform. Im Vortrag werden dieser Umstand und weitere Implikationen bewertet. Christoph Schuller studierte in Regensburg und Würzburg mit einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes Musikwissenschaft, Philosophie und Germanistik. Derzeit promoviert er an der LMU München zur europäischen Rezeption der amerikanischen Minimal Music. Ein weiteres Tätigkeitsfeld ist die musikwissenschaftliche Edition innerhalb verschiedener Forschungsprojekte, die in sein Publikationsprojekt, „Der Briefwechsel zwischen Richard Dehmel und Hermann Zilcher“, mündeten. Daneben arbeitet er im NEMO-Projekt, das sich durch Workshops, Vorträge und Konzerte der nachhaltigen und europaweiten Verbreitung der Minimal Music widmet.

Sektion II, 16.00 Uhr

Der italienische Futurismus musikalisch. Manifeste, Ästhetik, Ideologie.

Matthias Hartmann (Göttingen)

„The terms fascism and modern art used to seem comfortingly opposed to each other“ (Antliff, „Fascism, Modernism, and Modernity“). Doch der italienische Futurismus irritiert Deutungen der europäischen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts als allein vergangenheitszugewandt. Zum ideologischen Bestand ehemaliger und heutiger Faschismen gehört zwar, was als „restorative nostalgia“ (Boym) und „Romantic anti-capitalism“ (Sayre & Löwry) bezeichnet werden kann, doch muss erkannt werden: die europäischen Totalitären „looked to both a mythic past and a technological future in a manner that seems highly contradictory“ (Antliff, 148). Wenn Marinetti, ‚Leiter‘ der futuristischen Avantgarde, proklamiert, Schönheit gäbe es „nur noch im Kampf“ (Futuristisches Manifest von 1909), stellt sich die Frage, wie Weltanschauung in musikalischen Programmen sich niederschlägt. Dem nachgehend dient der Vortrag der Einführung in den Gegenstandsbereich des musikalischen Futurismus, er will zur Vertiefung von Forschung und Debatte seitens der deutschen Musikwissenschaft anregen. Matthias Hartmann erwarb den Bachelorgrad im Fach „Populäre Musik und Medien“ am Musikwissenschaftlichen Seminar Paderborn/Detmold. Aktuell studiert er im Master Kulturelle Musikwissenschaft in Göttingen.

Die Geraer Ferienkurse für zeitgenössische Musik - eine vergessene Nische avancierten Denkens und schöpferischen Wirkens in der DDR

Noomi Bacher (Leipzig)                                

In ihrer realsozialistisch ideologisierten Kulturpolitik definierte die SED-Diktatur Musik als Erziehungsinstrument im Dienste des sozialistischen Staates. Das funktionale Verständnis von Musik blieb zentral bis zum Ende der DDR und doch gibt es teils große Differenzen zwischen dem theoretisch Vorgegebenen und der tatsächlichen musikalischen Praxis. Diverse musikalische Phänomene im DDR-Alltag sind nur anekdotisch aufgearbeitet, sodass ihnen eine musikwissenschaftliche Auseinandersetzung fehlt. Ein Beispiel hierfür sind die Geraer Ferienkurse für zeitgenössische Musik. Von 1974 bis 1989 fanden diese in Rudolstadt und Gera statt, wo Akteure, die Informationen aus dem Ausland mitbrachten, Wissen um neuste musikalische Entwicklungen hatten und technische Ausrüstung sowie Expertise zur Verfügung stellten auf solche trafen, die eben danach auf der Suche waren. Wer sich in seinem Erkenntnisinteresse aufgrund struktureller und ideologischer Bedingungen eingegrenzt sah, dem konnte hier durch persönlichen Kontakt ein wertvoller Austausch geboten werden. In Gera scheint damit möglich gewesen zu sein, was an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit innerhalb der DDR, undenkbar war. Denn, wie Stefan Amzoll formulierte: „Hier regierte allemal die Lust, etwas von dem zu erfahren, was neue Kunst im innersten ausmacht“. Noomi Johanna Bacher (*1996 in Aachen) lebt seit 2016 in Leipzig, wo sie Musikwissenschaften im Bachelor und Master studierte. In der Musikwissenschaft interessieren sie vorwiegend die Musikentwicklungen des 20. Jahrhunderts – insbesondere dort wo sie auf Widerstand trafen. Seit 2022 arbeitet Noomi Bacher im Friedrich Hofmeister Musikverlag und betreut inzwischen das Musiklektorat des Verlages.

Konzert, 18.30 Uhr

Fidan Aghayeva-Edler (Piano)

Víctor Gutíerrez (Gesang und Gitarre)

Arnold Schönberg               Sechs kleine Klavierstücke Op. 19

Anton Webern                     Variationen Op. 27

Viktor Ullmann                     Variationen und Doppelfuge Op. 3a

 

 

Víctor Jara                                    Te Recuerdo Amanda

Gian Franco Pagliaro                    Yo te nombro libertad     

Silvio Rodríguez                           Historia de la Silla

Santiago del Nuevo Extremo        Homenaje

Sergio Ortega                               El Pueblo Unido

 

 

Ursula Mamlok                    Zwei Klavierstücke: Inward Journey, In High Spirits

Verdina Shlonsky               Pages from the Diary (Auswahl)

Erwin Schulhoff                 Suite dansante en jazz: Walzer, Fox-trot

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